Nr.1 im Sommersemester 2001


Informatik in freier Wildbahn

Steffen Kamuf

eulenspiegel: Jérôme, du arbeitest jetzt bei Schlund+Partner. Wie bist du eigentlich dort gelandet?

Jérôme: Mehr durch einen Zufall. Ich bin letztes Jahr im Januar mit meinem Studium fertig geworden und hätte im September eigentlich meinen Zivildienst antreten sollen. Das war auch alles schon mehr oder weniger geplant. Da ich vorher schon von Schlund gehört hatte und wusste, wo deren Aufgabengebiet liegt und was man als Programmierer dort so machen müsste, dachte ich, ich könnte während der sechs Monate bis zum September programmieren, Zeit totschlagen und Geld verdienen. Ich habe ihnen geschrieben, was ich kann und das hat so gut gepaßt, dass nach kurzer Zeit eine Festanstellung daraus wurde. Der Zivildienst wurde dann verschoben, da Schlund einen Antrag auf Unabkömmlichkeit stellen konnte, in dem beschrieben wurde, warum ich für ihre Firma ganz dringend gebraucht werde. Der Antrag ist durchgegangen und mein Zivildienst wird immer noch verschoben.

eulenspiegel: Was machst du momentan in deinem Job?

Jérôme: Am Anfang habe ich so gut wie alles gemacht, von der Systemadministration über Hotline bis zur Entwicklung. Irgendwann im Sommer ’98 kam mein Chef zu mir und erzählte mir von Strato, die ganz billig Domains verkaufen. Sowas wollte er von mir haben. Dann habe ich mich mit einem Kollegen hingesetzt, ein Vierteljahr drüber gebrütet und das Ergebnis davon war Puretec, das sich ganz gut verkauft hat. Als dann noch 1&1 bei Schlund eingestiegen ist war genügend Geld vorhanden, um kräftig Werbung zu machen und Puretec ständig zu erweitern. Somit habe ich die letzten anderthalb Jahre hauptsächlich Puretec gemacht. Anfang dieses Jahres wurde Puretec mit Schlund „verheiratet“. Vorher war ich hauptsächlicher Ansprechpartner bei allen möglichen Fragen, jetzt aber ist Puretec voll in das System von Schlund und 1&1 (Administration, Auftragsverwaltung, Abrechnung usw.) integriert. Dadurch wurde ich wieder frei für andere Projekte. Beispielsweise habe ich vor der Cebit für 1&1 einen Webmailer erstellt. Momentan allerdings bastle ich doch nochmal etwas an Puretec, hier werden im Sommer wieder einige Erweiterungen fällig. Im Prinzip ist meine generelle Aufgabe die Datenbank und den „Workflow“ drum herum in Schwung zu halten. Man kann sich das so vorstellen: In der Mitte ist die große Datenbank (die natürlich aus mehreren, verteilten Datenbanken besteht). Die Hotline möchte Daten über Kunden, das Marketing will Statistiken, die Rechnungsabteilung braucht auch ihre Daten, Kunden wollen Aufträge abgeben usw. Mein Job (und natürlich der anderen Entwickler) ist es nun, alle diese Daten und Schnittstellen zu anderen Datenquellen und Datenbanken bereitzustellen, also dafür zu sorgen, dass jeder die Daten bekommt, die er braucht.

eulenspiegel: Was ist deine offizielle Berufsbezeichnung?

Jérôme: Systementwickler, wie es auf der Visitenkarte steht.

eulenspiegel: War es dir schon früh bewußt, dass du in diese Richtung gehen willst?

Jérôme: Ich war recht anspruchs- und planlos, meine wichtigsten Wünsche waren morgens ausschlafen zu können und keine Krawatte tragen zu müssen. Und Spass soll der Job machen und das Geld sollte natürlich auch stimmen. Insofern habe ich genau bekommen was ich wollte. Ich habe während des Studium immer mal wieder programmiert, z.B. in den Semsterferien nach den Klausuren mich mit Unix und C++ beschäftigt. Durch Hiwi-Jobs konnte ich jede Menge Praxiserfahrung sammeln. Auch die Rechnerbastelei im WG-Netzwerk hat natürlich geholfen. Und durch das Studium hab ich die notwendigen Theorie-Grundlagen erhalten.

eulenspiegel: Was ist eigentlich vom Studium hängengeblieben?

Jérôme: Feten und Fachschaftsarbeit. Nein, ok, ernsthaft: Die Theorie, die man lernt, ist schon wichtig. Man merkt es zum Beispiel an Programmierern, die nicht Informatik studiert haben (ich möchte jetzt nicht Physiker sagen). Diese Leute programmieren zwar oft, dass es läuft - aber sie machen sich machmal keine Gedanken über Laufzeiten, O-Kalkül und Effizienz. Das hat man als Informatiker einfach im Blut, bei quadratischer Laufzeit schaut man ja schon mal, ob man das nicht anders schneller machen kann. Schlechte Programmierer schreiben das Programm und testen es mit zehn Werten. Wenn es für zehn Werte schnell läuft, ist es ein gutes Programm und man kann sich dem nächsten zuwenden. Das ist dann natürlich nicht so gut, oft krachen solche Systeme auseinander, wenn die Datenmenge zu groß wird. Die ganzen Datenstrukturen, die man schon im Vordiplom lernt, hat man natürlich auch im Kopf, z.B. Hashs, Listen, Bäume. Das ist das Handwerkszeug für den Alltag. Natürlich muss man die einzelnen Algorithmen schon mal nachschlagen, aber man hat sie eben noch im Hinterkopf und bei einem bestimmten Problem denkt man oft „Da war doch mal was, das genau für dieses Problem zugeschnitten war ...“. Auch die Datenbanktheorie verwende ich häufig. Wenn man mal weiß, wie so eine Datenbank funktioniert, wie das Arbeiten auf Mengen und deren Verknüpfungen funktioniert, dann kann man sicher besser mit der Datenbank umgehen als wenn man nur stur SQL lernt. Ich habe Telematik als Vertiefungsfach gemacht, da gab es natürlich die ganzen Grundlagen der Netzwerke. Zwar mache ich nichts in der Firma mit Netzwerken, aber es auch hier gut die Grundlagen zu kennen. Die Mathematik aus dem Vordiplom, insbesondere die Lineare Algebra, brauche ich jetzt nicht mehr so sehr (hier werden sicher viele Zweitsemester aufatmen). Ich habe schon während des Studiums, gerade im Hauptdiplom, versucht möglichst wenig Mathematik machen zu müssen, da auch mir diese nicht so liegt. Auch sowas geht ja zum Glück in Karlsruhe, man kann entgegen anderer Meinungen, die ich schon oft gehört habe, recht praxisnah studieren.

eulenspiegel: Und das wichtigste in deiner Studienzeit war...?

Jérôme: Die Fachschaftsarbeit war ziemlich gut. Als ich damals für die Finanzen der Fachschaft zuständig war, haben wir eine Fachschaftenkonferenz geplant. Und wenn man mal ein so großes Projekt durchgezogen hat, das ist schon eine wichtige Erfahrung, finde ich. Ebenso ist es mit der Planung der Fakultätsfeste. Vom Studium selbst ist es die selbstständige Art zu arbeiten (ganz im Gegenteil zum Vorgekaut-bekommen in der Schulzeit) die man wohl am ehesten lernt und für später mitnimmt. Das ganze gipfelt in der Diplomarbeit. Man bekommt eine Aufgabe und dann kniet man sich rein und schaut, wo man die benötigten Informationen finden kann, z.B. welche Bücher wichtig sind oder welche ähnlichen Arbeiten es schon gibt. Dann liest man diese Quellen und lernt die notwendigen Dinge zur Lösung des Problems. Die ganze Strategie zur Lösung der Aufgabe der Diplomarbeit, den Zeitplan, den Rahmen dessen was man in der Arbeit lösen will und was man weglassen muss, all dass muss man sich selbstständig erarbeiten. Im Berufsleben sind die Anforderungen ähnlich. Wenn der Chef mir eine Aufgabe gibt, dann recherchiere ich zuerst mal. Welche Lösungsmöglichkeiten gibt es, was ist zu aufwändig, was machbar, was macht z.B. die Konkurrenz? Wie verteilen wir die Aufgaben im Team? Wie teile ich die Zeit ein? Neben dieser Arbeitsweise ist natürlich auch der fachliche Stoff auch heute im Arbeitsleben noch von Nutzen, das ist klar.

eulenspiegel: Was war dein Nebenfach?

Jérôme: Elektrotechnik, genauer gesagt „Entwurf elektronischer Systeme“. Bei der Auswahl habe ich mir echt schwer getan. In den offiziellen Vorschlägen habe ich nichts gefunden, was mich so wirklich interessiert hätte. Irgendwie bin ich dann bei der Elektrotechnik gelandet, obwohl diese Vorlesung morgens um 8 Uhr war, was mich eigentlich immer abschreckt. Vom Stoff her war es dann sehr einfach. Es ging zum Teil um digitale Schaltungen, wie eine Fortsetzung von TI mit Mealy- und Moore-Automaten und dergleichen. Der andere Teil waren Programmiersprachen zum Entwurf von Schaltungen, zum Beispiel VHDL. Irgendwie tut es mir aber leid, dass ich damals wieder etwas technisches gemacht habe, und nicht die Chance genutzt und den Mut hatte, mal über den Tellerrand zu schauen.

eulenspiegel: Und die Diplomarbeit?

Jérôme: Ich habe bei den Telematikern eine recht theoretische Arbeit gemacht. Der Titel lautete „Logische Informationsflüsse zwischen Objekten in Trader-vermittelten Client-Server-Systemen“.

eulenspiegel: Gibt es bei euch größere Hierarchien in der Firma?

Jérôme: Als ich angefangen habe, waren wir alle noch auf einem Stockwerk, die Firma wuchs und expandierte gerade in ein zweites Gebäude. Zu dieser Zeit gab es wenig Hierarchie, eigentlich nur die Chefs und den Rest, wie es eben so ist in kleinen Firmen. Später als die Firma größer wurde und auch 1&1 eingestiegen ist, wurde natürlich alles etwas reglementierter. Man hat bei Schlund zwar immer versucht Hierarchien wegzulassen, aber es ist tatsächlich notwendig, solche Strukturen zu haben, um nicht ganz im Chaos unterzugehen.

eulenspiegel: Wie sieht es mit Teamarbeit aus?

Jérôme: Wir haben natürlich Projektteams, in denen man mit unterschiedlichen Leuten an einem Projekt zusammenarbeitet. Es ist jedoch nicht so streng zu sehen als dass man dann nur mit diesen Leuten an diesem Projekt arbeitet und sonst niemanden trifft und sonst nichts macht. Einerseits arbeitet man oft in mehreren Projekten mit unterschiedlichen Gruppen, andererseits gibt es ja noch das Tagesgeschäft, das auch wieder andere Ansprechpartner erfordert.

eulenspiegel: Wie sind Deine Arbeitszeiten?

Jérôme: Die Arbeitszeiten bei uns sind recht frei. Die Leute in der Hotline und mit Kundenkontakt haben natürlich feste Zeiten, zu denen sie da sein müssen. Aber bei uns Entwicklern ist es relativ egal, da kann man auch mal ausschlafen. Man kann (fast) kommen und gehen wie man Lust hat, Hauptsache die Arbeit wird gemacht. Das ist ganz nett, ich kann auch mal sonntags arbeiten gehen und habe dann meine Ruhe, da nicht ständig das Telefon klingelt. Wenn ich mal wirklich dringend fertig werden musste habe ich auch schon mal bis nachts um drei Uhr oder länger gearbeitet und am nächsten Tag dann zuerst mal ausgeschlafen (oder auch nicht, mein Rekord liegt bei 30 Stunden nonstop). Auf diese Weise kommen zwar recht oft jede Menge Überstunden zusammen, die leider nicht bezahlt werden. Dafür ist es zum Glück als Ausgleich auch recht einfach, ‘mal ‘nen halben Tag frei zu bekommen, wenn man Besorgungen machen muss. Natürlich sind diese extremen Arbeitszeiten eher die Ausnahme, meistens arbeitet man ja doch tagsüber ganz normal. Insbesondere wenn man Familie hat oder für andere, z.B. die Hotline, Ansprechpartner ist, muss man tagsüber da sein und kann sich lange Nächte nicht leisten.

eulenspiegel: Vielen Dank für das Gespräch.

Jérôme („Schrom“) Waibel studierte bis vor einem Jahr Informatik in Karlsruhe und war Finanzer der Fachschaft.Inzwischen arbeitet er bei der Schlund+Partner AG. Intimeres erfahrt ihr unter www.schrom.de
Das Interview führte Steffen Kamuf.

 
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