Nr. 2 im Sommersemester 2001
Informatik in freier Wildbahn
Steffen Kamuf
Interview mit Dr. Uli Siegmund
eulenspiegel: Wie war dein bisheriger Werdegang?
Uli: Ich habe schon früh als Kind mit der Computerei angefangen. Als ich vier Jahre alt war hat mir mein Vater, der in einem grossen Rechenzntrum gearbeitet hat, Lochkarten mitgebracht. Später habe ich einen Computer bekommen, den VC20. Damit hat die "Hackerei" dann angefangen, ich habe relativ früh auch Assembler gelernt. Später habe ich von Zeitschriften Programme abgeschrieben. Kurze Zeit später habe ich mir dann einen C128 gekauft. Und so ging es dann immer weiter...
1989 habe ich angefangen in Karlsruhe Informatik zu studieren, wo ich 1995 mein Diplom gemacht habe. Ich habe nebenher auf dem Amiga Software geschrieben. Als erstes schrieb ich einen Compiler und später dann Grafikkartensoftware. Dabei habe ich auch meine jetzigen Partner kennengelernt. Unser erstes Projekt war der Vertrieb von Grafikkarten. Dabei haben sich meine Partner um die Hardware gekümmert und ich war für die Software verantwortlich. Vertrieben haben wir unsere Produkte über amerikanische und europäische Kanäle. Später sind wir dann auf den Bereich MPEG-Decodierung und motion JPEG auf dem Amiga umgestiegend. Aber gerade als es bei uns so gegen 1994/95 aufwärts ging, ging es mit dem Amiga leider steil bergab. Deswegen sind wir dann in den PC-Markt übergewechselt und haben mit SPEA zusammengearbeitet, die es allerdings mittlerweile nicht mehr gibt. Auch mit Diamond, mittlerweile S3, haben wir gearbeitet. Die Umstellung von Amiga auf den PC war recht schwierig. Wir haben unsere Produkte dann hauptsächlich an eine amerikanische Firma vertrieben.
Mit DVD haben wir schon 1996 angefangen, als noch kein Mensch darüber gesprochen hat. Auf der Comdex Spring im Juni 1996 haben wir die erste DVD-Karte vorgestellt. Dabei haben wir das nötige Feedback erhalten, um in dieser Richtung weiterzumachen. Leider hat sich DVD wegen der Diskussion um die Decryption/Encryption bis etwa 1997 verzögert und wir mußten im Laufe dieser Diskussion unser Produkt mehrfach ändern. 1997 haben wir unsere erste Hardwarekarte verkauft. 1998 haben wir dann angefangen Software DVD zu programmieren. Mittlerweile machen wir HDTV, Echtzeit Video encoding, also MPEG2 in Software. Wir haben auch eine Consumer-Box mit DVD. Unsere Hauptschwerpunkt liegt allerdings immer noch in Richtung Video.
Ich habe 1995, nachdem ich mein Diplom gemacht hatte, an der Uni weitergearbeitet um meinen Doktor zu machen. Das Thema meiner Doktorarbeit lautete: "Multimediaprozessoren mit MPEG". Das war eine sehr geschickte Aufgabenstellung, denn es passte gut zu meiner sonstigen Arbeit und so konnte ich es nebenher machen, sonst wäre das wahrscheinlich nicht möglich gewesen.
eulenspiegel: Was hast du während deines Studiums gemacht? Hat dich das schon geprägt?
Uli: Meine Fächer habe ich nur nach Interesse gewählt. Ich habe mir gesagt, wenn ich schon die Möglichkeit habe zu studieren, dann studiere ich das, was mich interessiert. Ich finde es wichtig, dass man seine Studienfächer nach Neigung aussucht. Als Vertiefungsfächer habe ich Compilerbau und grafische und geometrische Algorithmen gemacht. Mein Ergänzungsfach war Digitaltechnik. Diese Fächerkombination beschreibt eigentlich auch recht gut das, was ich momentan mache obwohl der Compilerbau bei meiner Arbeit nicht so stark vorkommt.
eulenspiegel: Was war das Thema deiner Studienarbeit?
Uli: Es ging um dynamische Typänderung an objektorientierten Systemen. D.h. wenn ich ein objektorientiertes System habe, dann habe ich meine verschiedenen Klassen und wenn ich an diesen Klassen jetzt was ändere, dann ist es im allgemeinen so, dass es dann nicht mehr mit der vorherigen Klassenmenge kompatibel ist, denn es gibt neue Methoden und neue Instanzvariablen und ähnliches. Bei der Arbeit ging es darum zu untersuchen, inwiefern es in einem laufenden objektorientierten System möglich ist, die Klassen zu tauschen, also neue Methoden und neue Klassen einzufügen während das System selbst läuft. Und dann zu schauen, dass die bestehenden Objekte sich an die neuen Klassen anpassen. Das wird ein bischen erschwert, wenn die Objekte persistenz haben, also auf der Festplattte gespeichert werden können. Oder wenn ich übers Netz verteilte Objekte dabei habe. Dann wird es schwierig, immer die richtigen Versionen zusammenzuhalten. Da habe ich dann auch mehrere Sprachen und Systeme untersucht und getestet, wieweit das möglich ist. Ich untersuchte auch Konzepte, die bereits versucht haben, etwas ähnliches zu machen.
eulenspiegel: Wie war deine Diplomarbeit?
Uli: Nachdem ich meine Vertiefungsfächer hatte, habe ich erstmal ein halbes Jahr lang recht wenig fürs Studium gemacht. Ich habe während dieser Zeit viel gearbeitet. Dann habe ich mir ein Thema gesucht, das mich wirklich interessiert hat. Ich habe mich zu diesem Zeitpunkt sehr für Prozessoren und Prozessordesign interessiert und hatte dann eine Idee, wie man die Prozessoren schneller machen könnte. Das könnte man doch als Diplomarbeit machen, dachte ich mir und bin dann ans Institut von Professor Ungerer gegangen, der für seine alternativen Prozessoren bekannt ist.
Ich habe ihm meine tolle Erweiterung erzählt und gemeint, die könne man doch mal untersuchen. Er hat gesagt, dass man das Mehrfädigkeit nennt und das es das schon gibt. Er sagte, dass sei ein Thema das noch nicht so stark untersucht wäre, genau wie Superskalarprozessoren und ich dachte mir, das wäre eine schöne Möglichkeit. Und als ich dann zu zwei Dritteln fertig war, erschienen gerade zu diesem Zeitpunkt die ersten Veröffentlichungen zu diesen Themen. Ich habe dann entsprechend meine Arbeit darauf angepaßt, dass es noch mehrere Veröffentlichungen gibt, aber das ging recht problemlos.
Das war auch so ein bischen der Ansatzpunkt aus dem heraus wir zusammen das Thema für die Dissertation entwickelt haben. Weil mehrfädige Prozessoren zu einem Forschungsschwerpunkt entwickelt wurden, allerdings noch niemand diese Prozessoren auf ihre tauglichkeit im Multimediabereich getestet hatte, ergab sich so ein interessantes Thema fuer meine Doktorarbeit. Die meisten Professoren der Prozessorarchitektur haben wenig Ahnung von den konkreten Anwendungen. Sie machen eine Specmark, die wird compiliert und das Ergebnis mit anderen verglichen. Aber unter speziellen Anwendungen gibt es recht wenig was schon gemacht wurde. Ich dachte mir, Multimedia ist mein starkes Bein, nehmen wir einfach Multimedia und testen wir aus, wie sehr sich mehrfädige Prozessoren dafür eignen oder daran angepaßt werden können.
eulenspiegel: Wie hat es bei dir mit der eigenen Firma geklappt?
Uli: Das geht zurück bis in meine frühen Tage. Ich habe eigentlich immer etwas verkauft. Das Hobby Computer war damals noch sehr teuer, so hat die Diskette zum Beispiel damals noch 10 DM kostet. Da mußte man einen Weg finden, wie man das finanzieren konnte. Eine Möglichkeit damals war, dass man seine Programme an Zeitschriften verkaufen konnte, als Listing des Monats zum Beispiel. Damit habe ich mir dann meine Computer so über die Reihe finanziert. Später habe ich dann einen Modula2 Compiler für den Amiga geschrieben. Der wurde dann über ein schweizer Softwarehaus vertrieben. Das war auch eine schöne Einnahmequelle. Während des Studiums ging es dann mit den Grafikkarten los. Das war immer so ein leichter Nebenverdienst. Es hat so gerade die Kosten für die neue Hardware gedeckt, die man gebraucht hat. Aber ich habe viele Leute kennengelernt und Kontakte geknüpft. So habe ich auch meine heutigen Partner getroffen, die gleichen drei Partner, die wir auch heute noch sind.
eulenspiegel: Das war doch alles zu einer Zeit, als von Start-up noch keine Rede war, oder?
Uli: Der Geist war damals schon da. Das fing ja schon damals vor 25 Jahren im Silicon Valley an. Aber es gab die ganzen dotcoms noch nicht. Das Internet bestand gerade mal aus FTP und Mail. Die grafischen Geschichten wie Webbrowser entstanden damals gerade und waren noch ziemlich obskur. E-commerce war damals noch kein Gedanke. Wir sind eine etwas unübliche Start-up, denn wir sind keine dotcom, sonder halt eher eine schöne Ingenieursbürogeschichte, d.h. wir entwickeln hier und da. Wir sind damals auf den Multimedia-Hype aufgesprungen. Wir dachten uns, wenn es drei Jahre lang gut geht, können wir uns vielleicht einen Firmenwagen kaufen.
eulenspiegel: Hast du damals schon gedacht, dass man DVD codieren in Software machen kann?
Uli: Das war sogar ein bischen anders. Damals war schon die Frage, ob man MPEG1, Video-CD, der Vorläuferstandard, in Software machen kann. Und dann kam Mediamatix mit ihrem Softwaredecoder. Und sie haben uns faktisch überrollt. Wir haben gedacht, das macht man nicht in Software. Das ist Hardware, es ist einfach ungünstig das in Software zu machen, der Prozessor taugt dafür einfach nichts. Entsprechend schlecht war auch die Qualität dieser Softwaredecoder im Vergleich mit unseren Hardwaredecodern, aber der Preis machte dann den Unterschied. Man konnte ihm mit Grafikkarten dazubundeln und er ist später sogar ins Betriebssystem gewandert. Hardwaredecoder sind einfach verschwunden.
Als dann DVD kam, war wieder klar, die Rechnerleistung reicht einfach nicht. Es war vier- bis fünfmal soviel Aufwand wie vorher. Und die Rechner waren damals noch nicht soviel schneller. Und es hieß, das wird nicht gehen. Wir sagten uns, es geht bestimmt, es ist nur eine Frage des Zeitpunkts. Und wir haben dann, als wir dachten, dass es in einem halben Jahr bis Jahr soweit sein könnte, daran gemacht, diesen Softwaredecoder zu entwickeln.
Das war zuerst schwierig, aber als die Rechner schnell genug waren, waren wir entsprechend da. Bei MPEG1 haben wir es verschlafen, wo ist der logische Grund, dass es bei MPEG2 nicht geht? Und wir sagten uns, dass es geht und wir glaubten daran, dass der Rechner eines Tages schnell genug wäre. Und dann hat gerade das Aufkommen der Multimediaerweiterungen in den Prozessoren wie das MMX uns bestätigt, das wir den richtigen Weg gehen und nicht wieder vor der Tür stehen wie bei MPEG1.
eulenspiegel: Habt ihr eure Ideen oder kommen die Kunden zu euch?
Uli: Sowohl als auch. Wir haben spezielle Geschichten gemacht, zum Beispiel haben wir mal Epileptikerüberwachung mit MPEG-Encoding gemacht. Das ist was ganz spezielles, auf die wir nicht gekommmen wären. Bei solchen Dingen kommen die Kunden auf uns zu. Sie kennen andere Produkte von uns und fragen uns, ob wir für sie was entwickeln könnten. Ansonsten versuchen wir, das technologische Ohr an der Schiene der Zeit zu haben. Manchmal verpaßt man etwas, aber manchmal klappt es auch. Aber in diesem Bereich ist es sehr wichtig, vorher zu wissen, was man hat und was man anbieten kann. Beide Seiten müssen berücksichtigt werden, einmal kundenspezifisch zu entwickeln und andererseits sein Produktportfolio zu erweitern. Und sei es nur, dass man einen Referenzentwurf hat, damit man belegen kann, was man kann. Dann kann sich der Kunde schon vorstellen, dass man ihm das gewünschte liefern kann.
eulenspiegel: Woher kommen die neuen Ideen?
Uli: Hauptsächlich aus Fachmagazinen. Natürlich ist das Internet Informationsquelle Nummer 1. Man schaut ein bischen, was machen die anderen, man hört sich um, was machen die Normungsgremien? Dann weiß man, welche Standards kommen werden und was man damit machen kann. Manchmal kommen auch von Kunden die Anfragen, dass sie unterschiedliches gehört haben und mal nachfragen wollten. Daraufhin haken wir nach und forschen. Wir diskutieren lang und überlegen uns dieses und jenes. Das ist ein kreativer Prozess, der nicht von jetzt auf gleich geht sondern seine Zeit dauert. Schließlich hat man eine grobe Beschreibung, was man mit dem Produkt erreichen möchte.
Einmal gibt es den formalen Prozess, der durch die ganzen Instanzen der Firma geht mit Planung und Budget und so weiter. Das ist der normale Prozess. Aber dann gibt es auch immer diese U-Boot Geschichten. Wenn einer unserer Ingenieure eine Idee hat, dann probiert er es aus. Dafür hat er auch Zeit, denn 10% bis 20% der Zeit sind dafür reserviert, dass sich unsere Ingenieure mit anderen Dingen beschäftigen und zum Beispiel neue Produkte entwickeln. Wenn das Produkt seine Demo-reife hat, wird es rumgezeigt, und überlegt, ob daran Interesse besteht. Auf diese Weise sind auch schon die unterschiedlichsten Produkte entstanden.
Eine dritte interessante Sache sind auch Messen. Man hat eine Messe und überlegt sich, dass man gern etwas demonstieren möchte. Irgend etwas technologisches, das erwähnt wird, um somit auch wieder Werbung für andere Produkte zu machen. Das muß kein kaufbares Produkt sein, es muß nur interessant sein. Wir suchen was hippes, neuartiges, das wir kombinieren können. Und das natürlich zu einem relativ geringen Aufwand. Aus diesen Ideen wurde dann auch schon das eine oder andere Produkt entwickelt, wenn wir von den Kunden das entsprechende Feedback erhalten haben.
Natürlich gibt es auch Abfallprodukte, wie das Teflon aus der Raumfahrt. Zum Beispiel ist DVD interlaced Material, also mit Zeilensprungverfahren. Der Computermonitor hat keinen Zeilensprung und so hat man Probleme mit der Darstellung. Dafür haben wir ein Verfahren entwickelt, um dieses Problem zu beheben. Ganz nebenbei haben wir dabei einen Treiber für TV-Karten mitentwickelt.
eulenspiegel: Gibt es etwas, was du in deinem Studium gern gemacht hättest?
Uli: Rein geschäftlich hätte ich mich während meines Studiums mehr ums Internet kümmern müssen. Das habe ich total verpaßt, die Netzwerk und Datenbankaspekte habe ich nur so abgehandelt, das hat mich nicht so richtig interessiert. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich etwas verpaßt habe. Ich habe etwas wenig Mathematik gemacht, da hätte ich mehr machen können, im nachhinein merkt man immer wieder, dass einem gewisse Dinge fehlen. Gerade bei der Bild- und Tonbearbeitung und solchen Dingen wie Filtern und FFT merkt man, dass man mehr hätte tun können. Das hat sich inzwischen ja ziemlich geändert. Da wird momentan doch mehr getan als zu meiner Zeit.
eulenspiegel: Du denkst, dass sich das Informatikstudium in den letzten Jahren geändert hat?
Uli: Wir haben ja auch Studenten hier, bei denen bekomme ich dann mit, was auch so an Klausuren läuft. Ich merke, dass von einigen Fächern wie LA und Ana abgesehen, bei denen sich auch nach 10 Jahren nicht viel geändert hat, sich die Informatikfächer doch geändert haben. Gerade solche Dinge wie die formale Beschreibung oder FFT sind Dinge, die es bei uns gar nicht gab. Auch bei technischer Informatik und Rechnerstrukturen hat sich einiges gebessert. Die Fächer wurden praxisnäher, das ist vor allem für uns interessant. Wenn man optimierten Code schreiben möchte ist es wichtig zu wissen, wie der Rechner funktioniert.
eulenspiegel: Willst du den Studenten noch was mit auf den Weg geben?
Uli: Ich kann sagen, wie ich es sehe, wenn ich mit jemanden ein Vorstellungsgespräch habe. Mal ganz abgesehen von den fachlichen Dingen ist es wichtig, dass ich neben meinem Studium auch noch was anderes gemacht habe, das Studium also nicht nur passiv verbracht habe. Ich selbst habe solche Dinge auch während meines Studiums gemacht.
Was im Studium meiner Meinung nach fehlt, sind Praktika. Die meisten Praktika an der Uni sind sehr weltfremd. Deswegen sollte man sich selbst darum kümmen, mal in eine Firma reinzuschnuppern. Oder aber in der Open Source Gemeinde aktiv werden und sagen, dass man das eine oder andere zu Linux beigetragen hat.
Dann sollte man sich im Studium auf die Dinge konzentrieren, die einen interessieren. Die Dinge, die man hört sind in 10 Jahren sowieso uninteressant. Ob es in 10 Jahren noch Java gibt, weiß niemand. Ein Fach einfach zu nehmen, weil es einem opportun erscheint, halte ich für falsch. Man sollte etwas nehmen, für das man scih wirklich interessiert. Dann hat man selbst was davon und im Endeffekt ist das Studium in vielem nur die Fähigkeit, sich Wissen anzueignen und Grundkonzepte zu verstehen. Die Vertiefungs- und Ergänzungsfächer sind eigentlich nur eine Praxiserprobung dieser Fähigkeiten.
eulenspiegel: Vielen Dank für das Gespräch.