Eulenspiegel Nr.3 im Sommersemester 95
Und auf ein Neues: Bildungsgutscheine
Tilo Arens
Revisionsdatum: Juni1995
Kaum ist die Neufassung des Universitätsgesetzes unter Dach und Fach, schon holt Herr von Trotha (der Wissenschaftsminister von Ba-Wü) zum nächsten Schlag aus: Studiengebühren bedürfen seiner Ansicht nach dringend der Einführung. Nachzulesen ist dies in der Mai-Ausgabe von PRISMA, dem PR-Magazin des Ministeriums für Wissenschaft und Forschung.Bei von Trotha heißt das Konzept der Studiengebühren nicht "Studiengebühren", sondern "Bildungsgutscheine"; bezahlen soll man nicht ab dem ersten, sondern ab dem vierzehnten Semester, also nach einer "deutlichen Überschreitung der Regelstudienzeit", wie es im Fachjargon immer heißt. Damit steht fest: Dem Minister geht es keinesfalls um eine neue Finanzquelle für die Hochschulen, sondern einzig und allein um die Einführung einer Sanktion gegen die Studierenden.
Wie zynisch dieses Konzept ist, möchte ich im folgenden einmal demonstrieren. In PRISMA werden die dreizehn Semester gebührenfreies Studium wie folgt begründet. Man benötigt 8 Semester, um Vorlesungen zu hören, ein weiteres Semester für Prüfungen, 4 weitere Semester gibt es als "Kulanzphase".
In meinem eigenen Studiengang, Mathematik, sieht die Realität dagegen wie folgt aus: Man benötigt mindestens 8 Semester, um genug prüfungsrelevante Vorlesungen für die Hauptdiplomsprüfung zusammenzubekommen; dies jedoch nur bei sehr zielgerichtetem Studium: Schon direkt nach Abschluß des Vordiploms muß klar sein, wo der Schwerpunkt des Studiums liegen soll. Ein realistischerer Wert scheint also selbst bei zügigem Studium bei 9 Semestern zu liegen.
Erst hiernach kann sinnvollerweise mit der Diplomarbeit begonnen werden. Mit Themenfindungs- und Einarbeitungszeit dauert es durchaus 1,5 bis 2 Semester zur Abgabe - danach sind mindestens weitere 1,5 Semester für das Ablegen der Hauptdiplomsprüfungen notwendig. Man kommt also in der Summe auf mindestens 12 Semester und dies, wohlgemerkt, bei zügigem und zielorientiertem Studium. Es ist übrigens auch von Professorenseite im Fakultätsrat geäußert worden, daß dies ein realistischer Wert für eine Studiendauer sei.
Die vom Wissenschaftsminister eingeräumte "großzügige Kulanzphase" schrumpft also bei realistischer Betrachtung auf ein Semester zusammen. Hierbei bleiben allerdings Auslandsaufenthalte, Tätigkeiten als Tutor oder Tutorin, die Notwendigkeit zu jobben, etc. unberücksichtigt. Und die kleinste unvorhergesehene Verzögerung des Studiums kann bedeuten: Du mußt zahlen. Etwa bin ich davon ausgegangen, daß das Vordiplom bereits nach 4 Semestern abgeschlossen wurde - der Median liegt für die Fakultät für Mathematik jedoch bei 5 Semestern.
Klar ist also: Ein Studium in der Regelstudienzeit abzuschließen, wie von von Trotha und anderen immer wieder gefordert, ist heute nur bei absolutem Minimalstudium oder einigen ganz wenigen Überfliegern möglich. Das Konzept der Bildungsgutscheine mit der Regelstudienzeit zu verknüpfen, bedeutet daher, die Studierenden für einen Mißstand bezahlen zu lassen, den sie nicht zu verantworten haben. Man kann nur immer wieder betonen: Bevor die Studierenden durch irgendwelche Zwangsmaßnahmen zu schnellem Studium gebracht werden sollen, muß schnelles Studium erst einmal möglich sein.
PS: Ich habe eigentlich Lust, zu diesem Themenkomplex eine ganze Artikelserie zu schreiben; als nächsten Titel denke ich an "Welche Konsequenzen hätten Studiengebühren für die Hochschulen?" und "Kurzzeitstudium - was soll das?" Über Anregungen und Kritik wäre ich sehr dankbar, also meldet Euch doch einfach mal bei mir. Fachschaft math/inf