Eulenspiegel Nr.2 im Sommersemester 96
Mitten in der Stadt
Ralf Uwe Pfau
Revisionsdatum: Mai 1996
Mit der Nase im Staub liege ich hier. Was soll's? Keinen kümmert es. Ich liege hier, mitten in der Stadt unter tausenden von Menschen, doch niemand sieht her, keinen kümmert es. Wer bin ich auch, daß jemand bei mir einen zweiten Blick wagt? Der erste Blick reicht ihnen, um mich in die Kategorie Ausländer einzuordnen, obwohl ich dies nur dem Augenschein nach so ist. Aber es reicht, mich zu sehen, zu übersehen, weiterzugehen in Gedanken, beschäftigt mit vielen Alltagssorgen, mit sich! Nichts an mir, das den Rest an Emotionen in ihnen ansprechen läßt, nicht weiß, weich und wollig; ich habe keine runden Kulleraugen, sondern bin eben kantig, eckig, mit Macken.Was liege ich auch hier, wie betrunken und dies bereits am hellichten Tag! Und jeder geht weiter, den Blick geradeaus in die Ferne gerichtet, höchstens ein Seitenblick riskierend, ansonsten geht der Blick in die Ferne, ins Nichts. Sie laufen weiter, ohne daß sie jemanden haben, zu dem sie gehen, der sie erwartet, es wartet immer nur eine Aufgabe, eine Pflicht. Es gibt viel zu tun.
Und ich liege da. Ja, vorher war ich genauso wie sie, genauso blind. An wievielen bin ich eigentlich schon vorbeigegangen? Jetzt befinde ich mich auf diesem Pflaster und muß Zeit haben, muß warten, kann den Himmel nicht mehr sehen, der mir davor so gleichgültig war und jetzt zu einem Ziel meiner Sehnsucht wird, ihn noch einmal sehen zu können. Vergeblich! Ich muß weiter warten. Ich höre viele Schritte in einiger Entfernung an mir vorübergehen, die Leute machen einen großen Bogen um mich, meiden mich und ich kann sie nicht mehr sehen. Wie sehne ich mich jetzt nach ihrem Anblick, der mir vorher so egal war, nur ein Flimmern, und jetzt erinnere ich mich an niemanden und wollte so gerne sie erkennen können.
Viele Termine warten auf mich, doch niemand wird mich vermissen, und ich muß jetzt Zeit haben, warten. Meine Gedanken kommen langsam vom nächsten Termin zurück, sie müssen. Heute abend werden sowieso alle ohne mich zerflossen sein. Wer wird nach mir fragen? Die Zeit verrinnt, die Hektik der Stadt schwillt an und ebbt auch wieder ab. Der Tag geht zäh zur Neige, nichts hat sich bisher geändert, vergebliches Hoffen in mir.
Ich stehe auf, gehe weg, was kümmert es mich jetzt noch? Morgen vormittag wird jemand meine Leiche wahrnehmen.