Eulenspiegel Nr.2 im Wintersemester 95/96
Kurzzeitstudium - Was soll das?
Tilo Arens
Revisionsdatum: Dezember 1995
Hier ist er also, der dritte Artikel in der Reihe zu Studiengebühren und langen Studienzeiten. Die Reaktionen auf den zweiten Teil waren noch magerer als jene auf den ersten Teil; ich werte das jetzt einfach mal als breite Zustimmung unter den Studierenden der Fakultäten I und XI. (Ja, dieser Satz HAT Aufforderungscharakter.)
Vielleicht zu Beginn - bevor ich auf das eigentliche Thema "Kurzzeitstudium" eingehe - einige aktuelle Informationen. Die bundesweite Aktionswoche "Heißer Herbst" solltet Ihr ja alle mitbekommen haben; einige Leute aus der Fachschaft haben auch aktiv an den Ständen in der Mensa mitgemacht. Diese Aktionswoche hatte zwei Themenschwerpunkte: Studiengebühren und die von Rüttgers geplante BAFöG-Verzinsung. Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) hat inzwischen über das Thema Studiengebühren diskutiert und beschlossen, daß Studiengebühren bei der momentanen sozialen Situation in der Bundesrepublik nicht eingeführt werden sollen. Dies wurde aber gleichzeitig mit der Drohung verbunden, wenn der Staat die Hochschulen nicht bald angemessen ausstatte, müsse man andere Finanzierungsmöglichkeiten suchen.
Jetzt aber zum eigentlichen Thema, dem Kurzzeitstudium: In der Debatte um Studiengebühren ist immer wieder die Rede davon, daß die deutschen Studierenden zu lange bis zu ihrem Abschluß benötigen. In dieser Argumentation orientiert man sich häufig am Ausland wo Studienzeiten von 4 Jahren (etwa Großbritannien, Niederlande) die Regel sind. Dabei wird aber immer gerne einiges vergessen: Erstens sind die Betreuungsrelationen an den Hochschulen in unseren Nachbarstaaten deutlich besser als bei uns. Zweitens ist das Studium viel verschulter. Und drittens erreichen die Absolventen im europäischen Ausland längst nicht dasselbe Ausbildungsniveau wie bei uns.
Jetzt sollte sich in der Diskussion eigentlich die Frage stellen, die merkwürdigerweise fast nie gestellt wird: Was wollen wir eigentlich? Was für eine Ausbildung sollen die deutschen Hochschulen vermitteln? Wenn die Frage einmal in offiziellen Papieren auftaucht, dann wird die Antwort immer mit der vagen Formulierung "Berufsbefähigung" gegeben. Was haben wir uns denn darunter vorzustellen? Alles oder nichts?
Ich denke, es ist an der Zeit, daß einmal ganz konkret, vielleicht für jeden Studiengang einzeln, diskutiert wird: Welches Anforderungsprofil stellen wir an die Absolventen dieses Fachs? Erst danach macht es Sinn, über die dafür notwendigen Lehrinhalte und zeitliche Obergrenzen für ein Studium zu reden. Was macht statt dessen unsere Landesregierung? Sie sagt: Jedes Studium hat eine Regelstudienzeit von 9 oder 10 Semestern, die zeitliche Semesterwochenstundenzahl pro Semester sollte 20 nicht überschreiten, jetzt brauchen wir nur noch zu multiplizieren. Diese Art der Argumentation ist ganz nach Art der Politik: Es kommt eine Runde Zahl heraus, sie ist konkret, ihr Zustandekommen einfach nachzuvollziehen und ihr Zusammenhang mit dem eigentlichen Problem höchst undurchsichtig - aber das ist ja nicht weiter wichtig.
Man soll ja nicht alles schlechtreden: Einige vernünftige Ansätze für eine Diskussion von Studienzeiten gibt es ja doch. Einer davon (der sich allerdings auch wieder mehr an Semesterzahlen als an Studieninhalten orientiert) ist der des Bausteinstudiums: Ein Studium besteht aus drei Phasen: Zunächst kommt eine Orientierungsphase, in der die Studierenden noch leicht die Möglichkeit haben, zu anderen (verwandten) Studiengängen zu wechseln, danach die Vertiefungsphase, in der breite aber über die Grundlagen hinausgehende Kenntnisse im Studienfach erworben werden, und zuletzt die Spezialisierungsphase, in der in einem Fachgebiet vertiefende Kenntnisse erlernt und eine Abschlußarbeit angefertigt wird. Die ersten beiden Phasen sollen zwei, die letzte Phase ein Jahr dauern. Dieser zeitliche Rahmen wäre dann unter den gegebenen Randbedingungen (Durchlässigkeit zwischen den Studiengängen in der Orientierungsphase, Vermittlung der erforderlichen Kenntnisse zur Berufsbefähigung) von den einzelnen Fachbereichen auszufüllen. Dies wäre jedenfalls ein Ansatz für ein kurzes Studium, der Sinn macht.
Es bleibt also festzuhalten: Wer ein kurzes Studium fordert, darf nicht einfach nur Schranken für Semesterwochenstunden einführen. Um die Studienzeiten wirklich zu verringern, bedarf es einer größer angelegten, wirklichen Reform, die mit der Frage beginnt: Was für ein Studium wollen wir eigentlich?