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Astrid Laubenheimer
Prüfungsvorbereitungen:
die Verpackung macht's
Datum: Oktober 1997
Die Menge der Studierenden der Mathematik läßt sich auf
einfache Weise in zwei disjunkte Mengen zerlegen. Auf der einen Seite sind
diejenigen, die sie schon hinter sich haben, auf der anderen Seite
diejenigen, die sie noch vor sich haben. Die Rede ist von jener
Prüfung über 18 (in Worten: achtzehn) Semesterwochenstunden
reine Mathematik, einer modernen Form der Foltermethode, wie ich meine.
Die Prüfungsprotokolle, die in der Fachschaft so sorgfältig
archiviert werden (an dieser Stelle ein großes Dankeschön
für Eure Arbeit), geben nur unzureichend Auskunft, wieviel Zeit
durchschnittlich investiert wird, bevor man sich den bis unter die
Zähne mit Fragen bewaffneten Prüfern stellt. Die entsprechende
Spalte in den Protokollen ist mit praktisch jedem Wert zwischen ein und
sechs Monaten beziffert. Man stelle sich vor: Wochen und Monate lang Satz,
Beweis, Definition und Bemerkung in schier nicht endender
Aneinanderreihung, immer mit dem Hintergedanken beglückt, gerade
dieses Kapitel könnte das gefragte sein.
All denen, die erstens die besagte Prüfung noch nicht abgelegt haben
und sich zweitens vor jeder Form von Langeweile schützen wollen, sei
an dieser Stelle empfohlen, die algebraische Topologie in den
Prüfungsplan aufzunehmen und sich dem entsprechenden Skriptum von
Herrn Dr. Rehm zu widmen. Von verbaler Armut kann nicht im entferntesten
die Rede sein, der folgende Streifzug durch jenes Werk wird dieser
Behauptung Pate stehen.
Wer erst einmal zusammenhängende, wegzusammenhängende, lokal
wegzusammenhängende, einfach zusammenhängende und semilokal
einfach zusammenhängende topologische Räume zu unterscheiden
gelernt hat und nebenbei ein paar gruppentheoretische Kenntnisse
mitbringt, ist weitgehend gerüstet für das erste große
Kapitel, die Überlagerungstheorie.
Gleich im Anschluß ist vermehrte Begegnung mit Simplizes zu
verzeichnen, genau genommen mit geometrischen, konkreten, abstrakten,
orientierten und singulären Simplizes. Die Zusammenfügbedingung
für Simplizes zur Bildung von Geokomplexen wird sich im übrigen
bis in alle Ewigkeiten ins Gedächtnis brennen, wenn man einmal die
entsprechende Illustration im Büchlein Topologie von Jänich zu
Gesicht bekommen hat: Die Simplizes dürfen also nicht wüst
durcheinanderstechen, sondern müssen hübsch ordentlich
aneinanderpassen.
Doch weiter im Skript. Noch vor Eintritt in die Homologietheorie werden
Kantenpfadgruppe und -grupoid gestreift und in diesem Zusammenhang wird
motiviert, warum (grob formuliert) ein Baum keinen Zyklus enthalten soll:
Anschaulich kommt es bei Bäumen in der Natur nicht vor,
daß Zweige weiter außen wieder zusammenwachsen. Dieser
Argumentation können sich selbst Kleinkinder nicht entziehen.
Mit der simplizialen Homologie wird dann der ultimative Startschuß
für die Jagd auf Funktoren und Homologiegruppen gegeben und von da an
wird der Stoff für einige Zeit recht trocken. Aber vorbei am
Schlangenlemma und Ausschneidungssatz beginnt der Anflug auf die
CW-Komplexe und die Anschauung hält wieder Einzug. Exemplarisch wird
eine ökonomische Zerlegung der Einheitssphäre in zwei Zellen
angegeben (lediglich der Nordpol muß ausgeschnitten werden) und zur
Illustration der entsprechenden charakteristischen Abbildung ist folgendes
zu lesen:
Für n=2 können Sie sich das
vom Konditor zeigen lassen: Aus
einem runden Teigfleck (D2) wird ein Berliner Pfannkuchen (S2 als dessen
Oberfläche) gemacht: der Teig wird am Rand gefaßt, ohne ihn zu
zerreißen nach oben gebogen und der Rand zu einem Punkt (Nordpol)
zusammengedrückt. (Oft gelingt das nicht vollkommen, so daß an
dieser Stelle die Marmelade herauslaufen kann). Mir kommen noch heute die
Tränen vor Lachen.
Wer an dieser, im Skriptum bereits etwas fortgeschrittenen, Stelle nicht
aufgibt und noch Interesse für den Fixpunktsatz von Lefschetz
aufbringen kann, wird anschließend mit folgendem Kommentar zum
Satz vom Igel
belohnt: Betrachtet man S2 als idealisierten Igel und die v(x)
als Stacheln, die durch das Kämmen tangential an den Igel geschmiegt
werden sollen, so geht das nicht, ohne daß man wenigstens einen
Stachel abschneidet (v(x)=0). Der Satz besagt also anschaulich: Einen Igel
kann man nicht glattkämmen. Das nenne ich auf den Punkt gebracht.
Sicherlich, das Amüsement hat seinen Preis. Das Standardpensum
über die mengentheoretische Topologie beispielsweise studiert, liest
und lernt sich schneller. Dafür bleibt der Trost, daß von der
etwas mühseliger angeeigneten algebraischen Topologie noch einige
Zeit gezehrt werden kann und die gewonnenen Erkenntnisse nicht sofort nach
der Prüfung dem geistigen und manchmal hochprozentigen Reset-Knopf
zum Opfer fallen. Mir jedenfalls hat die algebraische Topologie neben dem
unvermeidlichen Zähneknirschen über scheinbar vom Himmel
gefallene Tatsachen (in der Regel war ich diesen Offensichtlichkeiten nach
einer halben Stunde zumindest dicht auf den Fersen) viel Freude bereitet.
Weiter so, Herr Rehm!
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